Effektiver Jahreszins der Wohnimmobilienkredite: Frankreich verletzt europäisches Recht
24/04/2017- Gerichtszeitgeschehen
Vollharmonisierung des effektiven Jahreszinses durch die Richtlinie vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge.
Die Umsetzung der Richtlinie 2014/17 über Wohnimmobilienkreditverträge mit Verbrauchern schien keine größeren Schwierigkeiten zu bereiten, zumal mehrere Schutzvorschriften der Darlehensnehmer nach diesen Vorschriften bereits im französischen Recht vorhanden waren. Es musste natürlich beachtet werden, dass die Richtlinie eine Vollharmonisierung in zwei Punkten vorsah: Das europäische standardisierte Merkblatt (ESIS- Merkblatt) und den effektiven Jahreszins. Die Richtlinie gibt eine gemeinsame Norm für die Berechnung des jährlichen Effektivzinses vor, unionsweit zur besseren Vergleichbarkeit standardisiert.
Europäische Definition des effektiven Jahreszinses – Verbindung zu den Gesamtkreditkosten
Der effektive Jahreszins wird im Gemeinschaftsrecht definiert als « Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, ausgedrückt als jährlicher Prozentsatz des Gesamtkreditbetrags » und es besteht eine direkte Verbindung zwischen den Gesamtkreditkosten und dem effektiven Jahreszins, diese beiden Begriffe drücken die gleichen Kosten aus, der eine in Form eines Betrages, der andere als Prozentsatz. Somit sind die Kosten, die Teil der Gesamtkosten sind zwingend auch jene, die in die Berechnung des effektiven Jahreszinses einfließen.
Ursprünglich getreue Umsetzung durch Frankreich
Die Beschlüsse vom 14. und 25. März 2016 zur Umsetzung der Richtlinie haben genau, wenn nicht Wort für Wort die gemeinschaftliche Definition der « Kreditgesamtkosten für den Verbraucher» übernommen, wobei die Kosten der notariellen Urkunde ausdrücklich ausgeschlossen waren. Das Dekret vom 29. Juni 2016 führte aus, dass soweit notwendig, die ausgeschlossenen Kosten der notariellen Urkunde als die Gebühren nach der Gebührenordnung der Notare zu verstehen wären, sodass Art. L. 311-1, 7° des französischen Verbraucherkreditgesetzes wie in Art. R. 314-5 des gleichen Gesetzes ausgeführt, die Wirkung hatte, dass bei Darlehen die durch eine Hypothek gesichert waren, die Honorare für die Erstellung der notariellen Hypothekenbestellungsurkunde von der Berechnungsgrundlage des effektiven Jahreszinses ausgeschlossen waren.
Gesetz vom 21. Februar 2017 und Auswirkungen auf die Notargebühren
Das französische Parlament hat jedoch gänzlich unbemerkt diese Definition durch das Gesetz vom 21. Februar 2017 (Nr. 2017-203) abgeändert, sodass, durch eine winzige Änderung des Wortlautes des Art. L. 311-1, 7° des französischen Verbraucherkreditgesetzes die Berechnungsweise des effektiven Jahreszinses für Wohnimmobilienkredite radikal geändert wird; aus dem neuen Wortlaut folgt, dass zwar die Honorare für die Erstellung des Hauptvertrages (insbesondere des Kaufvertrages über das finanzierte Objekt) von den Gesamtkosten und dem effektiven Jahreszins ausgeschlossen sind, nicht aber die Honorare für die Bestellung der Hypothek.
„Französischer“ effektiver Jahreszins und „europäischer“ effektiver Jahreszins
Diese Änderung führt dazu, dass für Frankreich eine neue eigene Definition der Gesamtkosten und des effektiven Jahreszinses entsteht, was dazu führt, dass jegliche Vergleichbarkeit zwischen dem « französischen » effektiven Jahreszins und dem « europäischen » effektiven Jahreszins verhindert wird, was wiederum nicht zu der gewünschten Harmonisierung führt.
Das französische Recht entspricht nicht mehr dem Gemeinschaftsrecht und Frankreich erfüllt nicht seine Pflicht der Umsetzung der Richtlinie über den Wohnimmobilienkredit.
Frankreich im Widerspruch zum europäischen Recht
Das Erstaunlichste ist, dass die parlamentarischen Debatten diese Änderung mit einer angeblichen Notwendigkeit zur Klarstellung und sogar Anpassung an das europäische Recht rechtfertigen! Die seltsamen Übergangsvorschriften, die eine Frist von drei Monaten vorgeben, damit die Darlehensgeber ihre fehlerhaften Verträge anpassen können (!), bestätigen die Blindheit des französischen Gesetzgebers. Weder die Regierung, noch die Kammern des Parlaments haben offensichtlich erkannt, dass diese Änderung des Art. L. 311-1 des französischen Verbrauchergesetzes nicht reine kosmetische Retusche war, sondern die Berechnungsweise des effektiven Jahreszinses vollständig abänderte und zu einer Verletzung des europäischen Rechtes führte.
Behandlung der Notargebühren
Bis zum 1. Oktober 2016 waren die Notargebühren in den Gesamtkosten und dem effektiven Jahreszins enthalten, soweit sie dem Darlehensgeber bekannt waren. Die Kreditinstitute hatten ihre Informatiksysteme ändern müssen, um diese Kosten herauszunehmen und das Gesetz vom 21. Februar 2017 zwingt sie nunmehr dazu, bis 22. Mai 2017 erneut Änderungen vorzunehmen, um wieder auf den Stand vor dem 1. Oktober 2016 zu kommen.
Diskrete Gesetzesänderung
Dieser Wirrwarr wird dadurch verschlimmert, dass diese erneute Änderung überhaupt nicht kenntlich gemacht wurde, da sie sich in einem Gesetz über die Ratifizierung von Beschlüssen vom März 2016 befindet, und als einfache Berichtigung von Fehlern bei der Neukodifizierung präsentiert wird.
Hemmnis für den einheitlichen Markt
In der Sache ist es sicherlich schwer zu rechtfertigen, dass die Notargebühren bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses eines Wohnimmobilienkredites nicht einfließen (im Unterschied zu den Gebühren für Grundbucheintragungen, die der Notar lediglich einnimmt und weiterleitet) da der effektive Jahreszins alle Kosten beinhalten soll, die der Verbraucher für seinen Kredit zu entrichten hat. Dieser Ausschluss der Notargebühren, der bereits in der Richtlinie Nr. 2008/48 über den Verbraucherkredit enthalten ist, wurde im Hinblick auf die Harmonisierung der Konzepte übernommen, als die Wohnimmobilienkreditrichtlinie verabschiedet wurde. Hier hätte eher die Richtlinie aus 2014 geändert werden müssen, als hier in einem verbotenen Punkt abzuweichen, was ein Hemmnis des freien Kreditverkehrs darstellt.
Es ist festzustellen, dass die französische Besonderheit aus dem Gesetz vom 21. Februar 2017 im Endeffekt die französischen Kreditinstitute im Wettbewerb behindert, da sie einen höheren effektiven Jahreszins angeben müssen, als die Konkurrenz des europäischen Marktes. Eine deutsche oder belgische Bank, welche die nationalen Vorschriften der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Definition des effektiven Jahreszinses anwendet (deutsche PAngV, belgischer arrêté royal vom 14. September 2016) berechnet den effektiven Jahreszins im ESIS Merkblatt und im Immobiliarkreditvertrag ohne Notargebühren für die Bestellung der dinglichen Sicherheit; der Ausschluss dieser Kosten bei der Berechnung sind in Deutschland und Belgien vollkommen unstrittig.
Kreditinstitute anderer Mitgliedstaaten, die ihre Tätigkeit nach Frankreich ausrichten, haben das Dilemma, dass sie sich entweder für das Gemeinschaftsrecht oder das französische Recht entscheiden müssen, welches von der Norm abweicht, dennoch zwingenden Charakter hat und erhebliche Sanktionen beinhaltet.
Die Frage möglicher Sanktionen für Frankreich aufgrund der schlechten Umsetzung der Richtlinie 2014/17 und die möglichen Einwendungen der Darlehensnehmer und Darlehensgeber die von dieser Situation betroffen sind, sollen in dieser Glosse nicht geprüft werden.
Es wird lediglich der Wunsch ausgesprochen, der französische Gesetzgeber mache in Zukunft …. Recht!